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Um die scheinbar triviale Frage danach, was Glas ist, zu beantworten, müssen wir uns ein ganzes Stück in die Physik und Chemie vorwagen. Bereit?
Glas ist ganz allgemein, um mit den Physikern zu sprechen, ein amorpher Feststoff. Was das bedeutet? Ein amorpher Feststoff ist ein Feststoff, dessen Moleküle sich in einem Zustand relativer Unordnung befinden, wie er eigentlich für Flüssigkeiten charakteristisch ist.
Viele Stoffe - und insbesondere alle Mineralien - bilden beim Übergang vom flüssigen in den festen Aggregatzustand normalerweise ein sogenanntes Kristallgitter aus, in dem ihre Moleküle oder (bei Reinstoffen) Atome äußerst regelmäßig angeordnet sind: Sie sitzen mit ganz wenig Bewegungsspielraum in den Ecken eines ausgedehnten "Klettergerüsts", in dem sich eine Grundfigur, sei es ein Kubus, ein Tetraeder, Oktaeder oder eine andere geometrische Form, periodisch wiederholt. Erwärmt man den Feststoff wieder, geraten die Moleküle oder Atome in stärkere Schwingungen, bis sie sich bei einer bestimmten Temperatur, der Schmelztemperatur, schließlich ganz aus ihren fixen Positionen lösen und frei beweglich werden.
Wird nun eine Schmelze mit der richtigen Mischung aus Tempo (rasch) und Behutsamkeit (bloß nicht bewegen) abgekühlt, entsteht eine unterkühlte Schmelze: Eigentlich liegt die Temperatur schon unterhalb des Schmelzpunktes. Aber der Stoff hat das quasi noch nicht "gemerkt". Bei weiterer Abkühlung kann die unterkühlte Schmelze so zäh werden, dass die Atome oder Moleküle einfach nicht mehr beweglich genug sind, um "ihre" Plätze im Kristallgitter zu erreichen. Sie haben sich zwar kurzreichweitig in den für den jeweiligen Stoff typischen Grundfiguren, z.B. Tetraedern angeordnet, schaffen es aber nicht mehr, eine ununterbrochene periodische Struktur auszubilden. Durch den sogenannten Glasübergang ist ein Stoff entstanden, der zwar zweifellos die Eigenschaften eines Festkörpers besitzt, aber keine Kristallstruktur hat - eben ein amorpher Feststoff.
Genau diese amorphe Struktur ist es übrigens auch, die für die Transparenz von Glas verantwortlich ist.
Es wird Sie vielleicht überraschen, dass die Eigenschaft, Glas bilden zu können, keineswegs auf den klassischen Grundstoff Siliziumdioxid beschränkt ist. Die Glasherstellung funktioniert zwar mit Quarzsand besonders gut, und der Rohstoff liegt buchstäblich auf der Straße herum - prinzipiell kann mit der geeigneten Technik aber jeder Stoff, der normalerweise im festen Zustand eine Kristallstruktur ausbildet, alternativ zu einem zu amorphen Feststoff gemacht werden. Manchmal beinhaltet die geeignete Technik dann aber Kleinigkeiten wie Abkühlgeschwindigkeiten von einer Million Grad pro Sekunde ... so lassen sich beispielsweise auch aus Metallen Gläser herstellen.
Ganz normales Glas - Fensterglas, Flaschenglas, Wasserglas-Glas - besteht, wie bereits erwähnt, in erster Linie aus Siliziumdioxid (Quarzsand). Daraus fertigten bereits die alten Ägypter Glaswaren.
Quarzsand schmilzt allerdings erst bei um die 1700°C, und der Glasübergang findet um 1200°C statt. Bei der Bearbeitung wird's also mächtig heiß. Bestimmte Zusätze können die Schmelztemperatur um mehrere hundert Grad senken und den Temperaturbereich des Glasübergangs erweitern, die Härte und chemische Beständigkeit des entstandenen Glases erhöhen, das Glas färben oder den Brechungsindex verändern. Typische Zusätze sind die Oxide von Natrium, Kalzium, Kalium, Aluminium, Magnesium, Bor und Blei. Die damit produzierten Gläser haben wohl bekannte Namen - Kalk-Natron-Glas, Kronglas, Borosilikatglas, Flintglas oder Bleikristall - und unterschiedliche Einsatzgebiete: Fensterglas, Behälterglas, optische Linsen, feuerfeste Glaswaren etcetera.
Gebräuchliches Fensterglas ist ein Kalk-Natron-Glas, das aus 71 bis 75 Prozent Siliziumdioxid, 12 bis 16 Prozent Natriumoxid und 10 bis 15 Prozent Kalziumoxid besteht. Kleine Zusätze von Aluminium, Magnesium und Kalium können ebenfalls enthalten sein.
Aber Glas ist spannend, vielseitig und alles andere als restlos erforscht. Sogar Physiker finden an Glas noch viel Interessantes; meist sind sie die ersten, die zugeben, dass viele Fragen zum Thema noch völlig offen sind. Wenn Sie also nicht alles verstanden haben - Kopf hoch, Sie sind in guter Gesellschaft!
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Kommentar von Gustav Sucher |
Hallo, ich finde es immer wieder erstaunlich, wie man aus Sand einen durchsichtigen Stoff machen kann. Schon sehr komplex, was die Produktion von Glas angeht. Danke für die tollen Erklärungen.